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Abstrakt Wüste

KUNST AUS EINER ANDEREN WELT

Ich erwachte in einem verlassenen Haus, das einst voller Leben war. Die Sonne schien durch die Fenster und der Staub tanzte im Licht. Ich wusste nicht was geschehen war. Alle Menschen waren verschwunden - meine Familie, meine Freunde, meine Nachbarn. Nur ihre Erinnerungen blieben.

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Ich durchsuchte die Stadt, die einst mein zu Hause war. Leere Straßen, verlassene Geschäfte, verwaiste Parkanlagen und Spielplätze. Ich fand Tagebücher, Briefe, alte Fotos - alles, was von den Menschen übrig geblieben war. Ich las ihre Gedanken, ihre Träume, ihre Ängste. Aber ich konnte sie nicht finden.

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Die Natur hatte die Städte zurückerobert. Beängstigend und wunderschön zugleich. Gras wuchs durch den Asphalt und Vögel nisteten in den verlassenen Gebäuden. Ich streifte durch die verfallenen Straßen in denen ich auf Tiere traf, die einst im Wald lebten und fragte mich, ob ich der letzte Mensch auf der Erde war.

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Immer wieder erinnerte ich mich an die Zeit die einmal war. Ich sah die Gesichter meiner Lieben, hörte ihre Stimmen, fühlte ihre Umarmungen. Aber sie waren nicht hier. Ich schrieb Briefe, die ich nie abschicken konnte und sprach mit hinterlassenen Bildern an den Wänden, als ob sie mich hören könnten.

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Doch dann eines Tages überkam mich eine andere Sehnsucht, die mich nicht mehr losließ. Ich griff zu den Farben und Pinseln, die in einer verstaubten Ecke eines verlassenen Hauses lagen. Ich malte abstrakte Bilder - herzzerreißendes, wunderbares, trauriges oder böses. Jeder Pinselstrich trug die Schönheit und die sündhaften Erinnerungen der verlorenen Menschheit in sich. Ein verliebtes Paar, das sich im Regen küsste. Ein Kind, das auf einer Schaukel lachte. Ein Mann, der seine Sünden in den Augen einer Fremden suchte. Das Meer, auf dem ein einsames Schiff segelte. Oder den Tod, der auf einer Zinne saß und lachte, wenn er eine einsame verlorene Seele erblickte.

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Meine liebsten Begleiter waren die Naturgewalten. Heftige Gewitter zogen heran, wie dunkle Wolkengebirge. Ihre Blitze zuckten über den Himmel. Der Donner rollte durch die leeren Gebäude als würden die Mauern selbst erzittern. Ich saß auf einem verstaubten Stuhl und beobachtete ehrfürchtig das Schauspiel. Die Regentropfen prasselten auf die Fensterscheiben, als wären es fragile Glasperlen, die von einer unsichtbaren Hand geworfen wurden. Der Geruch von nassem Beton und frischer Erde erfüllte die Luft. Der Wind strich durch die verlassenen Straßen und riss an meiner Kleidung. Er trug den Duft von Freiheit und Vergänglichkeit mit sich. Ich schloss die Augen und ließ mich treiben - ein einsamer Geist zwischen den Ruinen der Menschheit - und ich malte.

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Die Sonne war meine Trostspenderin. Sie stieg am Horizont auf und berührte sanft meine Haut. Ihre Strahlen wärmten mich, als wollten sie mir sagen: "Du bist nicht allein." Ich streckte meine Arme aus und ließ mich von ihrem Licht umfangen. Die Einsamkeit wich purer Freude und ich fühlte mich lebendig.

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Dennoch vielleicht gab es noch andere, die wie ich durch die verlassenen Straßen der Welt streiften und mehr wussten. Selbst wenn nicht - ihre Hinterlassenschaften und Erinnerungen würden für immer in meinen Malereien weiterleben, die ich als Spuren für sie in der Welt hinterließ - sie waren und sind mein Glück - und für jene bestimmt, die ein Teil dieser Welt sein möchten.

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H.Thierfelder

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